Die Internetpartei Schweiz ist ein Flop. Sie wollte eine «politische-neutrale» Bewegung sein. Doch ihr Präsident Guido Honegger ist zur CVP übergelaufen.
«Unser Ziel ist die Lancierung einer seriösen, fundierten politischen Diskussion», verkündete der Präsident der Internetpartei, Guido Honegger, anlässlich der Gründung im vergangenen November. Ein Augenschein in den frei zugänglichen Internetdiskussionsforen der Partei (www.internetpartei.ch) lässt an diesen hehren Zielen erste Zweifel aufkommen: «Sex – Arbeiten nach Lust und Laune», lautet da zum Beispiel der politisch unkorrekte Titel eines Gesprächsbeitrags eines anonym bleibenden Parteimitgliedes: «Du arbeitest nur noch, wenn es Dir passt. Für Sex lässt Du Dir eine schöne Russin kommen. Gibst über Internet Deine Sonderwünsche ein, wie hochhackige Lederstiefel mit Peitsche und Erziehung. Abrechnen kannst Du dann auch noch gerade übers Internet.» Auch Streitgespräche über Themen wie «Cybersex», «Autos» und «die Moral des Lebens» liefern wenig politischen Zündstoff, sondern stimulieren höchstens Informatik-Technokraten. Diskussionsthemen wie die «Legaliesierung von Cannabisproduketen», die offensichtlich im Orthographie-Rausch verfasst wurden, können auch den hartgesottenen Politfreak nicht begeistern. Die Wortmeldungen der Parteimitglieder sind zudem meist einige Monate alt. Die letzte Pressemeldung der Parteileitung stammt vom März.
Grossspurige Ankündigungen
«Die Diskussionsforen wurden von Personen von ganz links oder ganz rechts dominiert, die gemässigte Mitte fehlte eindeutig in den Gesprächsrunden», rechtfertigt sich der 33-jährige Parteipräsident Guido Honegger. Aber nicht nur bei den angestrebten Inhalten solcher Foren hat die Parteibasis den zehn politisch unerfahrenen Gründungsmitgliedern um Honegger einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auch die Mitgliederzahlen blieben unter den Erwartungen: ganze fünfhundert Mitglieder weist die verwaiste Adresskartei aus. Im November hatte Honegger vor versammelten Medien noch geprahlt: «Die Internetpartei wird mit 120 000 Mitgliedern in einem Jahr die stärkste politische Kraft in der Schweiz.» Die erwarteten Sponsorengelder aus der Informatikbranche blieben aus: «Wir konnten lediglich einen einzigen Sponsor für die Partei gewinnen», gesteht Honegger resigniert ein. Kein Wunder – die Partei trat im November 1998 ohne festes Programm an. Die Mitglieder sollten in elektronischen Abstimmungen die politische Ausrichtung der Partei selber bestimmen. Dass scharf kalkulierende Sponsoren in keine vagen Politprojekte investieren, sollte spätestens seit dem Expo-Debakel allen klar sein – auch dem ausgewiesenen Marketing-Profi Honegger («Mehr Umsatz per Mausklick» – Referent: Guido Honegger).
«Die Internetpartei Schweiz soll völlig unabhängig von bestehenden Gruppierungen agieren», klang es vor einem Jahr noch vielversprechend. Honegger verkündete «eine neue Sachlichkeit an Stelle der verbreiteten Selbstdarstellung und Verfilzung». In der Hektik der Tagesaktualität fand ein Umstand wenig Beachtung: Der gelernte Tiefbauzeichner Honegger amtete schon damals als Geschäftsführer der Informatikfirma Agri.ch, die sich im Besitz des Schweizerischen Bauernverbandes befindet – von Unabhängigkeit fehlte damit von Anfang an jede Spur. CVP-Bauernverbandspräsident Melchior Ehrler persönlich konnte mittlerweile den Hauptmann Honegger aus Adliswil denn auch zur Abkehr von der vormals angekündigten Neutralität überreden: Der Internetparteipräsident kandidiert nun für die Nationalratswahlen auf der Liste der CVP Aargau «mit der elektronischen Zustimmung der Parteimitglieder», wie Honegger betont.
Der Parteipräsident der CVP Aargau, Peter Müller, gibt die personellen Verflechtungen mit dem Bauernverband ohne Umschweife zu. Zwischen der CVP Aargau und dem Nationalratskandidaten Honegger gebe es ein «gegenseitiges Geben und Nehmen». Die CVP Aargau schielt mit der Kandidatur des Geschäftsführers der Internetfirma Agri.ch auf die jungen, technologiefreundlichen Wähler – Honegger winkt als Gegengeschäft allenfalls eine steile Politkarriere. «Wir eröffnen uns mit Honegger eine neue Welt», sagt Müller zur Kandidatur des wendigen Informatikers – ob er damit eine rein virtuelle Welt meint, bleibt jedoch unklar.
Todesstoss versetzt
«Mit dieser Kandidatur hat Honegger der Internetpartei den Todesstoss versetzt», beurteilt der Politologe Claude Longchamp die weitere Zukunft der Cyberpartei. Bisher haben nach Erkenntnis von Longchamp zwar schon über 100 000 Schweizer das Internet im Vorfeld der Nationalratswahlen für ihre Meinungsbildung eingesetzt. Das Potenzial an Parteimitgliedern erscheint also gross. Ein von Honegger in Betracht gezogener «Relaunch» der Internetpartei mit der bisherigen Führungscrew dürfte aber kaum gelingen, zu unprofessionell agierte der Vorstand in der Vergangenheit. Ein prominentes Beispiel war die im Januar lancierte Initiative «Ja – zur elektronischen Abstimmung». Das voreilig angekündigte Projekt entpuppte sich als Rohrkrepierer. Die «Schnelligkeit der demagogischen Auswertungen, Wähler- und Wählerinnen-Strukturen» sei ein Vorteil dieser Initiative, die schon bis im Jahr 2001 umzusetzen wäre, hiess es noch anlässlich der Lancierung, sprachlich nicht ganz korrekt. Die Vorprüfung des terminlich völlig realitätsfremden Gesetzesentwurfes durch die Bundeskanzlei erfolgte bis heute noch nicht, die Vorlage wurde nie zur Prüfung eingereicht. Die Idee war zudem nicht mehr ganz taufrisch: Die SP hatte ähnliche Vorschläge schon vor Jahren erfolglos portiert.
Professor Ueli Murer vom Departement für Informatik der ETH Zürich begrüsst grundsätzlich die Idee, Abstimmungen elektronisch durchzuführen. «Ein Schnellschuss innerhalb zweier Jahre wäre aber ein grosser Fehler.» Der Informatikprofessor rechnet noch mit zehn Jahren Entwicklung, bis die Zeit reif sei für eine solche Abstimmungsform. Die Leitung der Internetpartei hatte es unterlassen, ihn als eigentlichen Experten auf diesem Gebiet vorgängig über die Realisierungschancen ihres Projektes zu konsultieren. Ein Parteimitglied sparte im parteiinternen Diskussionsforum zur Initiative denn auch nicht mit Kritik an der Parteileitung: «Irgendwie scheint mir Eure Initiative ein bisschen zum Himmel zu stinken. Wer in der Parteileitung wird den Auftrag des Bundes für die Programmentwicklung einheimsen?» Allfällige Rettungsaktionen noch vor dem Jahr-2000-Absturz zugunsten der serbelnden Partei werden wohl erfolglos bleiben. Das Telefon der Partei wird vom Sekretär Christian Rückert nicht mehr bedient, er hat schon eine neue Anstellung gefunden – bei der Agri.ch.