«Ende Oktober wird die Halle eingeweiht.» Andres Mikker, Projektmanager des estnisch-finnischen Baukonsortiums «Lemminkäinen» ist sichtlich stolz auf den 18 Millionen Franken teuren Neubau 15 Minuten ausserhalb vom Stadtzentrum von Tallinn, der Hauptstadt von Estland. In der nach dem estnischen Bierhersteller Saku benannten Konzerthalle soll am 25. Mai 2002 der Eurovision Song Contest über die Bühne gehen. Voraussichtlich werden in Tallinn 24 europäische Länder teilnehmen, inklusive Israel und Türkei. Estland hatte sich am vergangenen 12. Mai den Sieg mit dem Sängerduett Tanal Padar (20) und Dave Benton (50) und dem Soul-Hip-Hop-Song «Everybody» gesichert – die Schweizer Schlagersänger mussten wegen des schlechten Abschneidens im Vorjahr in den Ausstand treten. Auf der Grossbaustelle sind Dutzende Bauarbeiter damit beschäftigt, der Konzert- und Sporthalle den letzten Schliff zu geben.
Der estnische Architekt, Andres Kariste, gibt die Kapazität mit 5000 Sitzplätzen an. «Die Eurovisionsbühne braucht viel Platz und die Halle kann daher nicht optimal ausgenutzt werden», lautet die Erklärung für die geringe Zahl. In Kopenhagen pilgerten 28000 Schlager Fans in das überdachte Fussballstadion «Parken». Wie solche Menschenmassen in das vergleichsmässig kleine estnische Gebäude passen sollen, bleibt unklar. Rund 800 Journalisten und 500 Delegierte aus den teilnehmenden Ländern werden das Platzproblem noch verschärfen. «Der dänische Anlass war die grösste Veranstaltung in der Geschichte des Eurovision Song Contest», betont Tarmo Krimm, Managing Director beim staatlichen Fernsehsender ETV (Estonian Television) und Mitglied des Organisationskomitees. «In Estland rechnen wir im kommenden Jahr mit viel weniger Besuchern als in Kopenhagen.» Für das Publikum würden zudem riesige Bildschirme ausserhalb der Saku-Halle aufgestellt, damit auch wirklich alle die Show live mitverfolgen könnten.
Esten bleiben draussen
Ein Grossteil der Esten würde sich die Eintrittstickets für den Anlass sowieso kaum leisten können. Trotz boomender Wirtschaft ist der baltische Tigerstaat bezüglich Lohnniveau immer noch am Schlusslicht der ehemaligen Sowjetstaaten anzutreffen. «Entscheidend ist sowieso vielmehr, dass möglichst viele Menschen die Show am Fernsehen verfolgen können», fügt Krimm hinzu. Er spricht damit auf die rund 200 Millionen TV-Zuschauer an, welche die Schlagerparade jedes Jahr mitverfolgen. Die erhofften Einnahmen aus dem Verkauf der TVÜbertragungsrechte kommen ETV wie gerufen, der Sender steht finanziell auf wackligen Beinen. Schweden wird der kleinen TVStation zudem technischen Beistand leisten.
«Gratis»-Werbung für Estland
Die estnische Regierung, die indirekt von den zu erwartenden Touristen und vom Imagegewinn für den bisher wenig bekannten Kleinstaat und Nato- als auch EUAnwärter profitiert, hat ETV Defizitgarantien zugesagt – ein finanzieller Kollaps von ETV ist damit kaum wahrscheinlich. Die Gesamtkosten für den Anlass wurden auf rund 11 Millionen Franken veranschlagt. «Wir werden das Geld durch Sponsoren und den Ticketverkauf wieder reinbekommen», gibt sich Jaanus Kôusaar, der Finanzdirektor des Organisationskomitees optimistisch. Der Gesangswettbewerb in Estland wird denn auch von der Bevölkerung voll unterstützt: Umfragen zeigen eine hohe Zustimmung. Eine billigere internationale Werbeplattform kann sich Estland denn auch nicht wünschen. Anlässlich der TV-Ausstrahlung darf nämlich das Gastgeberland Werbung in eigener Sache betreiben. Mittlerweile ist in Estland auch die Suche nach geeigneten Moderatoren für den Grossanlass angelaufen. Gesucht sind Personen mit «exzellentem Englisch, Französisch, Intelligenz, Humor und Erfahrungen mit internationalen Unterhaltungsprogrammen. Der im Volk immer noch populäre Ex-Präsident von Estland, Lennart Meri, würde zwar alle Bedingungen erfüllen. Am mondänen Hüftschwung dürfte es dem ergrauten Herrn wohl aber fehlen.