Die Corona-Krise verunsichert viele Privatanleger. Mangels Finanzwissen verlassen sie sich bei Geldfragen oft auf die Meinung von Finanzberatern. Doch nicht immer wollen diese das Beste für ihre Kunden. So trennen Sie die Spreu vom Weizen.
Die schlechte Nachricht vorneweg: Das Finanzwissen und die Fähigkeit, kluge finanzielle Entscheidungen zu treffen, haben sich bei den Europäern seit der Finanzkrise 2008 nicht wesentlich verbessert. Das zeigte eine von der Allianz-Versicherung im Jahr 2017 durchgeführte Studie in zehn europäischen Ländern. Die Schweiz rangierte im Wissens-Ranking zwar auf Platz drei hinter Österreich und Deutschland, die helvetischen Teilnehmer offenbarten aber grosse Lücken, vor allem im Wissen um Risiken von Geldanlagen. Die Studie zeigt, dass diejenigen, die finanzielle und risikobezogene Konzepte besser begreifen als andere, mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit bessere finanzielle Entscheidungen treffen.
Fehlendes Finanzwissen und das Eingehen von nicht adäquaten Anlagerisiken können sich in hohen Verlusten auswirken. Und Menschen treffen häufig finanzielle Entscheidungen und gehen Risiken ein – sei es bei der Wahl der Hypothek oder beim Anlegen an der Börse. Die zweite Corona-Welle sorgt momentan für Unruhe an den Märkten und verunsichert Anleger. Doch an wen sollen sich Privatanleger mit ihren Finanzfragen in diesen stürmischen Zeiten wenden?
Finanzberater ist kein geschützter Titel
Wichtig zu wissen: Die Bezeichnungen Finanz- und Anlageberater sind in der Schweiz nicht geschützt. Finanzberater kann sich somit jeder nennen. Offiziell anerkannte Bildungsabschlüsse sind beispielsweise Dipl. Finanzberater IAF, Finanzplaner mit eidg. Fachausweis oder MAS Financial Consultant. Der Bildungsabschluss sollte zumindest staatlich anerkannt sein, entweder vom Bund als Bildungsbehörde oder von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma).
Die beste Ausbildung nützt aber wenig, wenn sich der Berater in der Praxis noch nicht mehrere Jahre bewiesen hat und gravierende Interessenkonflikte in seiner Beratung bestehen. So sind Finanzberater bei Banken und Versicherungen oft nicht die beste Wahl: Sie werden dafür bezahlt, Produkte der eigenen Bank oder Versicherung zu verkaufen – was für den Kunden nicht zwingend die optimale Lösung ist. Auch unabhängige Vermögensberater bekommen je nach Produkt Provisionen – und handeln daher nicht immer nur im Interesse ihres Klienten.
Wie schlecht Kunden beraten werden, wenn ihre Berater in erster Linie auf Provisionen schielen, hat die Finanzkrise gezeigt. Tausende hatten von Bankberatern verlustreiche Finanzprodukte empfohlen bekommen. Sie nützten vor allem den Banken, nicht aber den Anlegern. Berater bei Finanzinstituten müssen meist hochgesteckte Verkaufsziele erfüllen. Fragen Sie deshalb beim Bankberater nach, warum er Ihnen gerade diese Produkte empfiehlt und ob es nicht bessere von anderen Instituten gibt. Als Grundregel gilt: Versucht ein Berater Ihnen vor allem bestimmte Produkte auf Teufel komm raus zu verkaufen, sollten die Alarmglocken läuten. Dann geht es ihm wohl in erster Linie um Provisionen, die er einstreichen kann. Ein gutes Bauchgefühl erhalten Sie, wenn ein Berater Ihnen auch Produkte von anderen Finanzinstituten empfiehlt und Sie die Bankverbindung frei wählen können und nicht an ein Institut «gefesselt» werden.
Honorarberater oft als sinnvolle Alternative
Um die Gefahr von Interessenkonflikten zu bannen, kann es sich lohnen, einen Berater auf Honorarbasis zu suchen. Die Honorare von Honorarberatern schwanken zwischen 150 und 250 Fr. pro Stunde. Wird ein Berater im Stundensatz bezahlt, steht nicht mehr die Produktevermittlung im Fokus, sondern die Lösungskompetenz. Leider ist aber auch der Titel Honorarberater nicht geschützt. Im Idealfall stellt ein Honorarberater seinen Stundenaufwand für die Beratung dem Kunden in Rechnung und erstattet diesem allfällige Provisionen von Banken und Produktanbietern zurück.
Ist der Berater zudem ein unabhängiger Honorarberater, heisst das: Er oder sie ist nicht bei einer Bank oder Versicherung angestellt und nicht an Produkte einzelner Anbieter gebunden. Doch auch bei der Bezeichnung «unabhängig» gilt es skeptisch zu bleiben. Gerne bezeichnen sich beispielsweise «freie» Versicherungsbroker als unabhängig, obwohl sie nur für eine Handvoll Versicherungen arbeiten. Ob ein Berater wirklich unabhängig ist, lässt sich für Laien daher nicht immer zweifelsfrei feststellen. Wichtig ist daher die Transparenz aller Entschädigungen. Verlangen Sie eine schriftliche Offenlegung allfälliger Provisionen oder anderer versteckter Vergütungen.
André Bähler, Leiter Politik und Wirtschaft bei der Stiftung für Konsumentenschutz, sagt: «Im Idealfall bekommen Anlageberaterinnen und -berater keine Provision bzw. Kickbacks oder Retrozessionen, wenn sie einem Kunden ein Finanzprodukt verkaufen, oder sie leiten die Provision an ihre Kunden weiter. Sonst geraten sie unweigerlich in einen Interessenkonflikt. Kunden sollten Transparenz bei den Provisionen verlangen und überlegen, ob sie stattdessen nicht für eine Beratung bezahlen möchten, die dann aber wirklich in ihrem Sinne ist.»
Finanzielle und familiäre Situation berücksichtigen
Ein seriöser Geldberater berücksichtigt zudem Kundeninformationen zur finanziellen, zur familiären sowie zur beruflichen Situation. Gleichzeitig sollte er auch die Wünsche und Pläne des Kunden berücksichtigen. Er stellt viele Fragen, um die Prioritäten bezüglich Sicherheit, Flexibilität, Rendite und Laufzeit zu definieren. Darauf basierend, ergibt sich eine persönlich zugeschnittene Anlageempfehlung. Ein guter Berater weist auch ungefragt auf Risiken von Anlagestrategien und Finanzprodukten hin und zeigt dem Kunden die Kosten seiner Entscheide transparent auf. Er verkauft zudem keine eigenen Finanzprodukte.
Auch Banken bieten Honorarberatung an
Auch Banken wie zum Beispiel die Migros Bank oder die Zürcher Kantonalbank (ZKB) bieten ihren Kunden mittlerweile Beratung auf Honorarbasis an. Die Migros Bank offeriert ihre Vorsorge-, Pensions- und Finanzplanungen auf Honorarbasis. Eine Vorsorgeplanung kostet gemäss dem Pressesprecher Urs Aeberli 800 Fr., eine Pensionsplanung 2000 Fr., eine Finanzplanung plus 3000 Fr. Leistungen, die über den definierten Leistungsumfang hinausgehen, kostet 200 Fr. pro Stunde. Die Ergebnisse können «mit der Migros Bank oder Dritten» umgesetzt werden. Das Problem dabei: Der Bankkunde erhält somit auch Vorschläge für Migros-Bank-Finanzprodukte. Diese sind aber allenfalls nicht die Besten in einer Anlageklasse. Urs Aeberli hält fest: «Provisionen, welche der Migros Bank im Rahmen der Vorsorge-, Pensions- und Finanzplanung durch Versicherungen zufliessen, werden konsequent den Kundinnen und Kunden ausbezahlt.»
Wer sich auf der ZKB-Website oder beim ZKB-Kundendienst telefonisch nach einer Honorarberatung erkundigt, läuft zuerst einmal ins Leere. Die Dame vom ZKB-Kundendienst fragt etwas überrascht, warum man eine Honorarberatung suche, die «ZKB-Anlageberatung ist doch komplett kostenlos». Weitere Abklärungen zeigen: Eine Honorarberatung beschränkt sich bei der ZKB auf die sogenannte Finanzplanung. Die Bank berät nach einem kostenlosen Erstgespräch für 250 Fr. pro Stunde. Bei Themen wie Pensionierung oder Vorsorge wird ein pauschales Honorar berechnet. Die Empfehlungen sind gemäss der ZKB «produktunabhängig».
Gratis-Finanzberatung ist ein Märchen
Doch die «Gratisberatung», welche auch der ZKB-Kundendienst empfiehlt, ist ein Märchen. Ein Beispiel aus dem Hypothekarbereich zeigt, um welche Summen es geht: Vermittelt ein unabhängiger Berater eine Hypothek an einen Kunden, erhält er laut Angaben der Finanzberater Vermögenspartner im Schnitt etwa 0,1% der vermittelten Hypothekarsumme pro Jahr Laufzeit. Bei einer zehnjährigen Festhypothek von 750 000 Fr. sind das 7500 Fr. – eine stolze Summe.
Bei Gratisberatungen – sei es bei Banken, Versicherungen oder wo auch immer – sollten Anleger daher besonders auf der Hut sein. Der Berater sollte schriftlich bestätigen, dass er dem Kunden alle Provisionen transparent offenlegt und zurückerstattet. Grundsätzlich gilt auch: Die wichtigsten Gesprächsergebnisse sollten schriftlich festgehalten und vom Finanzberater unterschrieben werden. Das dient der Sicherheit und kann im Streitfall als Beweis herbeigezogen werden. Unseriös ist es, wenn ein Finanzberater keine Beratungsprotokolle abgibt. Protokolle dienen sowohl dem Schutz des Kunden als auch des Finanzberaters. Ein guter Finanzberater hört zudem seinem Kunden zu und offeriert keine «Standardlösung». Jeder Mensch hat unterschiedliche Voraussetzungen und Ziele, deshalb muss auch die Finanzberatung individuell sein.
Und idealerweise folgt eine Finanzberatung einem roten Faden. Mario Huber, Präsident des Schweizerischen Finanzberaterverbands (SFBV), sagt dazu: «Die Beratung muss einem strukturierten Prozess folgen mit Ist-Analyse inklusive Budget und Zieldefinition, Konzeptaufbau, Konzeptbesprechung und wenn gewünscht Konzeptumsetzung sowie Betreuung.» Huber empfiehlt, auch Google-Rezensionen von Kunden von Finanzberatern zu beachten. Andrea Schmid-Fischer, Präsidentin des Dachverbands Budgetberatung Schweiz, warnt vor aggressiven Beratern: «Zu enthusiastische Versprechungen sind oft unseriös, können ein viel zu hohes Risiko bedeuten oder sind gar betrügerisch. Es empfiehlt sich, aggressiver Akquise zu misstrauen und bei jedem Verdacht auf illegale Machenschaften sofort abzubrechen.»
Dieser Artikel ist in der Neuen Zürcher Zeitung am 11.11.2020 erschienen.
Autor: Bernhard Bircher-Suits, FundCom
Finanzberatung: Auf diese Punkte sollten Sie achten
- Stellen Sie vor einer Beratung Dokumente über Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zusammen. Dazu zählen Bankauszüge, Informationen über Vorsorgeguthaben, die letzte Steuererklärung, Angaben zur Hypothek und zu Versicherungen.
- Überlegen Sie sich finanzielle und persönliche Ziele, die Sie erreichen wollen, und versuchen Sie, einen Zeithorizont dafür zu definieren.
- Investieren Sie genügend Zeit, um den Berater Ihres Vertrauens zu finden. Am besten vereinbaren Sie mehrere Termine bei unterschiedlichen Beratern. Holen Sie vor finanziell bedeutenden Entscheiden nach Möglichkeit eine unabhängige Zweitmeinung ein.
- Fragen Sie den Berater nach seiner Ausbildung, allfälligen Interessenkonflikten, Erfahrungen und Referenzen.
- Fragen Sie den Berater offen nach allfälligen Provisionen bzw. Kickbacks.
- Bei Geldanlagen sind eine gesunde Skepsis und hartnäckiges Nachfragen oberstes Gebot.
- Entscheiden Sie nie unter Zeitdruck.
- Fragen Sie bei Gratisberatungen nach, wie sich der Berater bzw. sein Arbeitgeber finanziert.
- Für die Beratung sollte ein im Vornherein vereinbartes Honorar erhoben werden. Damit fällt das unangenehme Gefühl, «etwas kaufen zu müssen», weg.
- Verspricht ein Geldberater «sichere Traumrenditen» von 5% und mehr, gilt: Hände weg und Berater wechseln.
- Der Entscheid, welche Finanzprodukte Sie kaufen möchten, liegt immer bei Ihnen und nicht beim Berater.
- Unterschreiben Sie keine Verträge, die Sie nicht verstehen. Fragen Sie lieber nochmals nach – und wenn Sie den Durchblick dann noch immer nicht haben: Hände weg!
- Kaufen Sie nur Finanzprodukte, die Sie auch verstehen. Laien sollten sich fernhalten von intransparenten und teuren strukturierten Produkten.
- Verlangen Sie schriftlich, dass allfällige Provisionen Ihnen gehören und nicht dem Berater oder seinem Institut.
- Werden Provisionsabrechnungen von Produktanbietern oder Banken auf Wunsch offengelegt?
- Verlangen Sie ein ausführliches Beratungsprotokoll, falls Sie es nicht ohne Aufforderung erhalten.